Ich möchte mir gestatten eine ausführlichere Betrachtung darüber, was Barbie für mich bedeutet, zum Gegenstand dieses Essays zu machen. Anlass war eine - mit der Tendenz zur Verständnislosigkeit und Enttäuschung über mich und mein damals noch frisches Hobby - Einlassung eines zwar wesentlich jüngeren aber sehr guten Freundes.

Zunächst: Barbie war und ist für mich keine Konkurrenz zu lebendigen Damen. Sie war schlicht das, als das sie konzipiert wurde - ein Fashion-model. Das hat sich in 2 Jahren etwas verändert. Doch davon später mehr.

Nun zu meiner persönlichen Einstellung:
Es ist nicht so leicht die richtige Definition zu erwischen.
Fangen wir mal damit an, was Barbie für mich attraktiv macht.

1. Sie ist zu einer Kultfigur des letzten Jahrhunderts geworden. Ich stehe auf Kultigem.

2. Sie ist in ihrer Entwicklung ein Spiegelbild einzelner Epochen von Mode, Design und Lebensstil unserer Zeit. Wenn Sie so wollen, erkennen Sie in ihren Gesichtern, ihren Outfits die typischen Merkmale der einzelnen Decaden unserer neuesten Zeitrechnung. Beginnend bei den 50-ern, den 60-ern ... bis heute. In Ausstellungen werden Sie das sehr genau erkennen können, dass es wie ein Besuch in einem Museum wirkt, das sich mit den letzten nahezu 50 Jahren auseinander setzt.

3. Es gibt weltweit über keine Erscheinung in Produktform derartig umfassende Literatur von sehr ernst zu nehmenden Leuten aus den unterschiedlichsten Bereichen: Mode, Design, Journalismus, Pädagogik, Kunst, Geselllschaftsrelevanz...
Es muss irgendetwas an dieser Erscheinung Barbie dran sein, was soviele Intelligenzen in die Tasten der Schreibgerätschaften greifen lässt.

4. Ein großer Anteil der Literatur ist zu meiner Überraschung von Männern verfasst! (Ist das ein Wunder?)

5. Die Wirkung, die von einer wie auch immer gestylten Barbie ausgeht und auf mich trifft ist durchaus mit einer "lebenden" Person zu vergleichen. (Diese Wirkung hat sich enorm verstärkt seit ich mit ihr mehr als 1 Jahr zusammen lebte.)

6. Modelle von Autos, Flugzeugen, Eisenbahnen ... wirken auf den dafür sensiblen Betrachter faszinierend auf Grund der Verkleinerung im naturgetreuen Maßstab, der Funktion und einer gewissen Sammelleidenschaft. Barbie ist ein MODELL einer weiblichen Erscheinung im Maßstab 1 : 6 mit gewissen erotischen Merkmalen, die durchaus überbetont sind. Wenn Frauen wie Verona Feldbusch, Pamela Anderson, Marilyn Monroe, Cher, ... fotografisch abgelichtet werden, so werden sie ebenfalls in verschiedener Hinsicht, zumindest aber in erotischer überzeichnet, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Nun kann man(n) auf dem Standpunkt stehen, solche Frauenbilder nicht zu mögen. Das ist für meine Begriffe eine Geschmacksache.

Barbie ist ein Modell für eine in unserer Gesellschaft überaus erfolgreiche Frau!!! Alle 2 Sekunden wird auf diesem Erdball weltweit eine Barbie ver-/gekauft. Damit ist sie das erfolgreichste Konsum-Produkt überhaupt!!!!
Sie hat ihren Erfolg über 40 Jahre nicht nur gehalten, sondern ständig ausgebaut. Und Erfolg ist nun mal etwas erotisches...

7. Barbie kann die Kreativität anregen, indem sie in immer andere Rollen durch Umgestaltung ihres Äußeren schlüpft. Sie schafft es - wenn überzeugend gestaltet - diese Rollen so zu verkörpern, dass sie echt wirken. Sie ist eine
Schaufensterpuppe in Kleinformat mit der Ausstrahlung der großen Vorbilder. Das Stichwort DEKORATION bekommt durch die Verbindung mit einem weiblichen Touch eine besoners pricklende Note. Sie ist ein sich selten sträubendes
"Wesen", das alles sie äußerlich verändernde wortlos hinnimmt, es aber auch mit ihrer ganzen Power verkörpert. Mach das mal mit einer Frau. Die wird nur das tun wollen, was ihr genehm ist und womit sie sich identifizieren kann.
Barbie diskutiet nicht. Sie akzeptiert. Ich habe ein Buch mit den Ergebnissen eines weltweit ausgeschriebenen Projekts, bei dem es um die Gestaltung von Barbie durch sehr namhafte Designer, Künstler, Modeschöpfer, Frisöre, Kunstakademie-Absolventen, etc ging. Die Ergebnisse sind so unterschiedlich wie die Fingerabdrücke der Gestaltenden!!! Aber IMMER ist es Barbie, die präsentiert wird und Barbie b l e i b t Barbie, egal wie oder wer sie nun
arrangiert hat. Wenn das keine Charakterstärke ist, weiß ich nicht was man darunter zu verstehen hat. Die Kommentare der Teilnehmer über Barbie sind in überwältigender Mehrheit derart positiv, das es mich ausgesprochen überrascht
aber auch bestätigt hat in meiner Einstellung dieser Puppe gegenüber.

8. Kommen wir - auch wenn es Ihnen paradox erscheinen mag, zu ihrer PERSÖNLICHKEIT:
Bei einer PUPPE??? werden Sie einwenden. Ja g e r a d e bei einer Puppe, werde ich antworten. Was ist der SINN einer Puppe im kindlichen Spiel? Die P r o j e k t i o n der eigenen Gedankenwelt und Vorstellungen auf eine Figur, die für all die möglichen Varianten der Fantasie offen ist. Das Erkunden des eigenen Ichs durch Übertragen eigener Vorstellungen, Rollen (auch immer verwehrt bleibender) und durchgespielter "Realitäten". Das gilt für die Kinder, die mit ihr "spielen". Das gilt um so mehr für die Erwachsenen, die sie gestalten und all ihre persönlichen Vorstellungen und Charakterzüge durch sie zum Vorschein bringen. Dadurch gewinnt sie an Lebendigkeit, an Charme, an Realität, an Ausdruckskraft, an Vertrautheit, an Identifikationsmöglichkeiten, weil sich der Gestalter in ihr selbst wiederfindet, wie in einem Spiegel. Der Sammler, dem längst nicht alle Barbies gefallen, sucht sich diejenigen aus, die ihm am nächsten zu stehen scheinen. Identifikation und Projektion ebenfalls. Vielleicht nicht so aktiv, aber nicht minder effektiv.

9. Ich habe mich anfangs sehr hart gefragt, ob ich noch "normal" bin, wenn ich mich mich einer derartigen Figur widme, die von vielen verhasst und von ebensovielen geliebt wird. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich eine Menge Auseinandersetzung mit meiner eigenen Person nicht ohne ein Projektionsmedium erreichen konnte. Jetzt ist eine neue Ebene erreicht. Ich bin wahrscheinlich normaler als jemals in meinem Leben zuvor! Ich habe den Mut mich zu Dingen zu bekennen, die der Künstler in mir nicht zu formulieren sich getraut hätte bei aller Selbstanalyse. Barbie ist für mich kein Frauenersatz, aber eine Adresse für Gefühle, für emotionale Selbstdarstellung, für Wohlbefinden, für Details eigener
Lebensphilosophie. Damit deckt sie einen guten Teil des Anspruchs an eine Partnerschaft ab. Und sie ist von einer bestimmten Wertbeständigkeit - matriell und als Protokoll der eigenen Ansichtenentwicklung. Echte lebendige Partner werden immer auch ein Eigenleben führen, dass sich in keiner Weise beeinflussen lässt. Die Entwicklung egoistischer Tendenzen in einer Partnerschaft gewinnt in der aktuellen Gesellschaft immer häufiger den Zweikampf mit der Liebe, der Verantwortung dem anderen gegenüber und sogar gegenüber den eigenen Kindern. Das passiert mit Barbie nicht. Sie ist alles aber nicht egoistisch. Sie ist immer nur das Produkt der eigenen Projektion. Und du kannst dir selbst
gegenüber nicht egoistisch sein.

Mattel produziert eine Riesenauswahl dieser "Leinwände". Manche bleiben leer. Andere sind bei der ersten Begegnung bereits von dir selbst ausgefüllt. Und die müssen es dann eben sein. Die muss ich dann einfach um mich haben, denn sie zeigen mir deutlich wie eine Fabel, in welcher Verfassung ich bin, was mich gerade aufbauen könnte. Sie sind dabei wertfrei, edel und so gut oder schlecht wie du selbst. Aber sie nehmen keiner Frau den Platz weg, weil sie ein Abbild meiner Projektionen sind aber keine andere Person.

Ich weiß nicht, ob ich mich klar ausdrücken konnte. Aber so sehe ich diese Entwicklung bei mir. Es ist kein Spleen, kein Kick, keine Mode, keine Angabe, sondern für mich ein weiteres Mosaiksteinchen zu einer möglichen Selbstfindung. In dieser Hinsicht ist Barbie ein wunderbares Geschenk, und das für Menschen aller Altersgruppen und jeglichen Geschlechts.

Seit Barbie habe ICH mich nicht verändert, sondern lediglich ein weiteres wertvolles Hilfsmittel zur Gestaltung der eigenen Umgebung mit persönlichen Momentaufnahmen gefunden.

Dass Barbie für mich als Single damit emotional, psychisch und sozial gesehen eine liebenswerte, immer geduldige, fast verständnisvolle, optisch höchst delikate, zuwendungsbedürftige, von Einsamkeit ablenkende, höchste Bewunderung fordernde, zärtliche und mit ihrer erotisch grazilen Erscheinung kokettierende, liebevolle Mitbewohnerin war und ist, hatte eine gewisse Vermenschlichung zur Folge. Sie IST eine Partnerin geworden, lebt in meiner Vorstellungskraft als Wesen mit eigenen Ansprüchen, Gedanken und "Ansichten". Und eine Gang sind alle zusammen, weil sie sich - auch ohne Ken - unglaublich schnell vermehrt haben, alle halten zusammen wie Pech und Schwefel wie in einer Gang eben. Zu jeder einzelnen habe ich ein sehr intensives Verhältnis. Ein Leben ohne sie ist für mich nicht mehr vorstellbar.



Barbie und ich -
oder wie es zu "Klaus & The Barbie-Gang" kam.